Kurzgesagt
Der Dawn Chorus (engl. „Chor der Morgendämmerung“) ist ein Naturphänomen, das in vielen unterschiedlichen wissenschaftlichen Richtungen untersucht wurde und wird. Zum einen können spezifische vogelkundliche Fragen beantwortet werden, zum anderen gibt der Morgenchor jedoch auch Auskünfte über den aktuellen Zustand der Umwelt vor Ort. Erfolgt diese Dokumentation über Jahre hinweg, helfen die Datensätze dabei, Umweltveränderungen nachzuvollziehen. Aber auch für die Informatik sind komplexe akustische Datensätze wertvoll, um Systeme künstlicher Intelligenz zu entwickeln.
Hintergrund
Dawn Chorus (dt. “Chor der Morgenämmerung“) ist der englische Begriff für das frühmorgendliche Konzert, das aus den Kehlen vieler Tiere, insbesondere der Vögel erklingt.
Seit Menschengedenken fasziniert und inspiriert uns Menschen dieses Naturphänomen auf’s Neue, ganz besonders im Frühling, wenn das Konzert am vielstimmigsten ist. Vögel singen wohl in erster Linie, um Brutreviere abzustecken und Partner zu finden. In Mitteleuropa sind es zumeist die Männchen, die besonders im Frühjahr um die Gunst der Weibchen werben. Die Periode der Dämmerung, bevor die Sonne den Horizont überschreitet, ist dabei für viele Vogelarten der entscheidende Zeitraum (mehr lesen).
Wissenschaftlich gibt es viele Fragestellungen aus ganz verschiedenen Forschungsrichtungen die mit dem Dawn Chorus verknüpft sind, von Fragen wie „Warum singen Vögel gleichzeitig?“, über „Physiologie und Lernen des Vogelgesangs“ bis hin zur Bedeutung von „Vogelgesang in der menschlichen Empfindungswelt“. Die Aufnahmen des Morgendlichen Vogelkonzerts eignen sich aber auch als hervorragendes Werkzeug zur wissenschaftlichen Dokumentation vorhandener Tierarten anhand von Tonaufnahmen, dem akustischen Biomonitoring.
Der spezielle Zeitraum des Morgengesangs ist dabei besonders erfolgversprechend, da zu diesem Zeitpunkt viele Vogelarten vokal sehr aktiv sind und somit die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie auch akustisch erfasst werden. Zwar singen sie auch zu anderen Tageszeiten, jedoch kaum so intensiv wie frühmorgens. Der Fokus von Dawn Chorus liegt dabei vorwiegend auf der Vogelfauna, da sich aber hinter jeder Vogelart ein Netzwerk an biologischen Beziehungen verbirgt, können aus solchen Aufnahmen oft Rückschlüsse gezogen werden, die weit umfassender sind. Aus diesem Grund gelten Vögel oft als Indikatorspezies.
Insgesamt bietet das gemeinschaftliche Morgenkonzert damit eine Vielzahl von Gelegenheiten zur Erforschung von Fragestellungen, die einerseits grundlegender Natur sind, also Zusammenhänge aufzeigen, die nicht unbedingt ein spezielles Ziel verfolgen, aber uns mehr über die Natur lernen lassen (Grundlagenforschung). Andererseits finden sich auch viele Fragestellungen, die ganz konkret dazu dienen können, den Zustand von Habitaten zu erfassen, den momentan dramatischen Verlust an Artenvielfalt zu dokumentieren und die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen zu evaluieren.
Die Variablen von Dawn Chorus
Um zu verstehen, warum es dazu wichtig ist, möglichst viele Aufnahmen des Morgenkonzerts zu bekommen, muss man sich vor Augen führen, dass der Dawn Chorus kein statisches Phänomen ist, sondern einer Dynamik unterliegt, die von vielen Aspekten beeinflusst wird.
Schon das Konzert an einem gegebenen Morgen wird zu unterschiedlichen Uhrzeiten von unterschiedlichen „Orchestermitgliedern“ zusammengesetzt oder dominiert. Vermutlich um der akustischen Konkurrenz zu entgehen, stimmen verschiedene Arten bei unterschiedlichen Dämmerungszeiten in den Chor ein. Eine schöne Illustration hierzu liefert die Vogeluhr des NABU.
Auch der fortschreitende Frühling lässt uns über die Zeit andere Arten oder Individuen hören: manche Sänger kommen gerade erst aus dem Süden an, andere verstummen bereits, da sie mit dem Brutgeschäft begonnen oder ein Gebiet wieder verlassen haben. Doch auch das Wetter hat einen prägenden Einfluss auf das Morgenkonzert, genauso wie menschliche Faktoren wie Lärm- oder Lichtverschmutzung, die die Gesangsaktivität der Vögel zum Teil stark beeinflussen können.
Nicht zuletzt sind Veränderungen von Jahr zu Jahr zu beobachten, die mit schwankenden Beständen, der generellen Artenabnahme aber auch lokalen Habitatsveränderungen in Zusammenhang stehen.
All diese Faktoren müssen in wissenschaftliche Modelle mit einbezogen werden. Daher ist es besonders wichtig, möglichst viele Datenpunkte zu bekommen, um die Zusammenhänge statistisch identifizieren zu können.
Um möglichst viele dieser Variablen zu erfassen, möchten wir Euch darum bitten, möglichst mehrere Aufnahmen vom selben Ort an einem gegebenen Morgen zu machen und sowohl an einem Werktag, als auch an einem Sonn- oder Feiertag aufzunehmen. Hört Ihr den Unterschied?
Dabei sind Aufnahmen aus jedem Habitat, auch aus artenarmen oder ästhetisch vielleicht “langweiligen” Standorten wissenschaftlich interessant und wichtig.
Der “Jackpot” sind Aufnahmen, die vom selben Ort, zum etwa gleichen Datum und zur ungefähr gleichen Zeit, relativ zum Sonnenaufgang, über viele Jahre hinweg gemacht werden.
Citizen Science
Das Dawn Chorus Projekt als Citizen Science Projekt lebt davon, dass engagierte Bürgerwissenschaftler*innen wie Ihr Aufnahmen für eine solide Datengrundlage beitragen. Doch nicht nur bei der Erhebung, sondern auch bei der Datenanalyse könnt Ihr Dawn Chorus unterstützen (mehr lesen).
Anders als bei einer traditionellen wissenschaftlichen Studie in diesem Forschungsgebiet sonst üblich, werden bei Dawn Chorus keine langen High-Tech Aufnahmen an wenigen Orten gemacht, sondern über die Mithilfe vieler Menschen (und ihrer Smartphones) viele kurze Ausschnitte, wie kleine Puzzleteile, zusammengefügt, um das Große Ganze zu verstehen. Keine Wissenschaftlerin und kein Wissenschaftler wäre alleine in der Lage, gleichzeitig und wiederholt, über viele Jahre hinweg, Aufnahmen aus Bayern, aus ganz Europa, geschweige denn aus der ganzen Welt zu sammeln.
Der Vorteil von Dawn Chorus gegenüber vielen anderen Citizen Science Projekten ist dabei, dass unter Beachtung weniger Vorgaben, Laien und Profis gleichermaßen, ohne spezielle Gerätschaften oder Vorkenntnisse, wertvolle, objektive und nachvollziehbare Datenpunkte von wissenschaftlicher Qualität beitragen können. Dies liegt daran, dass die erhobenen Datenpunkte, hier also die Tonaufnahmen, statisch sind und nicht rein von der Artenkenntnis ihrer Teilnehmer*innen abhängig sind, wie bei vielen anderen Meldeaktionen. Um die wissenschaftliche Vergleichbarkeit der Daten weiter zu erhöhen, wurde dazu im Jahre 2021 die Dawn Chorus App nach wissenschaftlichen Kriterien entwickelt.
Durch die breite Beteiligung wächst langsam ein Datenschatz der in der Zukunft Einblicke erlauben wird, die heute vielleicht noch gar nicht angedacht sind. Gleichzeitig wächst mit den angehäuften frei verfügbaren Aufnahmen das Interesse von Forschenden, die auf entsprechende Datensätze angewiesen sind.
Fühlt ihr Euch von dem wachsenden Datens(ch)atz von Dawn Chorus angesprochen und wollt selbst Schlüsse aus diesen Daten ziehen so seid ihr herzlich eingeladen die gemeinschaftlich gesammelten Aufnahmen in Eure Forschung zu integrieren und damit zu arbeiten. Meldet Euch gerne über vogelstimmen@lbv.de oder über das Dawn Chorus Kontaktformular. Wenn ihr noch mehr über das Projekt erfahren möchtet, könnt ihr hier einen ausführlichen Bericht über das Projekt 2020 finden.
Auswertung der Daten
Um die Daten auswerten zu können, müssen wir in der Lage sein, Vogelarten auf den Aufnahmen eindeutig zu bestimmen. Dies ist ein komplexes und extrem langwieriges Unterfangen. Zwar gibt es bereits einige Algorithmen und Apps, die in der Lage sind, einzelne Vogelarten zu erkennen. Allerdings stellt der Dawn Chorus hier eine besondere Herausforderung dar, da die Aufnahmen ungerichtet sind und die Vogelgesänge zum Teil stark überlappen. Daher ist eine der ersten Aufgaben der Wissenschaft, geeignete Methoden zu finden, die dabei helfen, die akustischen Aufnahmen in auswertbare Datenpunkte umzuwandeln. Um dies zu erreichen, arbeitet DC mit verschiedenen wissenschaftlichen Partnern zusammen.
Citizen Scientists können uns nicht nur in der Datenaufnahme, sondern auch bei der Analyse unterstützen!
Computerprogramme zur Erkennung von Vogelstimmen benötigen Training, um die Arten korrekt identifizieren zu können. Im Falle von Dawn Chorus ganz besonders viel Training, da sich die einzelnen Sänger in diesem komplexen Datensatz oftmals stark überlappen. Das Lernen geschieht indem Tonaufnahmen eingespeist werden, die bereits die korrekten “Markierungen” enthalten. Eine Auflistung also, wann in der Aufnahme welche Art zu hören ist. Je mehr solcher bekannter Schnipsel einem Algorithmus zur Verfügung stehen, desto präziser wird seine Vorhersage. Somit ist der limitierende Faktor unseres Projektes nicht nur die Anzahl der Aufnahmen, sondern eben auch die Anzahl der von Menschenhand korrekt markierten Aufnahmen.
Deshalb laden wir alle ein die sich mit Vogelstimmen auskennen, uns bei der Vogelstimmenanalyse zu helfen!
Dies geht zum Einen über die App, in der die gehörten Arten in der eigenen Aufnahme angegeben werden können Es ist aber auch möglich dass andere Teilnehmer*innen Arten hinzufügen oder korrigieren. Diese Änderungsvorschläge werden momentan bei uns gesammelt und später freigegeben.
Zum Anderen möchten wir für den Herbst einen Workshop organisieren, zu dem wir alle Hobby- und Profi-Ornithologen, die sich mit der akustischen Erkennung von Vogelstimmen auskennen, einladen, um gemeinsam einen Teil der Dawn Chorus Vogelstimmen auszuwerten. Interesse geweckt? Meldet Euch gerne per Mail an vogelstimmen@lbv.de oder über das Dawn Chorus Kontaktformular. Wir freuen uns, von Euch zu hören!
Wissenschaftliche Projekte
Während langfristige Beobachtungen über Artenzusammensetzung und Veränderungen von Gesangsvariationen erst in einigen Jahren möglich sein werden, gibt es schon jetzt Projekte die auf Dawn Chorus Daten zurückgreifen bzw. arbeiten.
Data Challenge: weltweites Tüfteln für die Wissenschaft
Ein Beispiel aus der Informatik wären Algorithmen der künstlichen Intelligenz, die anhand der Aufnahmen trainiert werden sollen, um Arten später automatisch zu klassifizieren.
Die DCASE Data Challenge ist ein freier Wettbewerb für Teams von Wissenschaftler*innen und anderen digitalen Tüftler*innen und wird seit 2016 jährlich organisiert. Dazu werden auf der Homepage Datensätze veröffentlicht, die unter bestimmten Gesichtspunkten analysiert werden sollen. Die teilnehmenden Teams entwickeln dann Algorithmen, die darum konkurrieren, wer die besten Lösungsansätze für das „Rätsel“ entwickelt, also am besten abschneidet. Durch die unbegrenzte weltweite Teilnahme entstehen hier oft ungeahnte neue Ideen und Synergien, die die Wissenschaft auf dem jeweiligen Gebiet in ihrem Fortkommen stark unterstützen können.
2021 war Dawn Chorus mit einem Ausschnitt aus dem Dawn Chorus Datensatz vertreten. In Zusammenarbeit mit einem interdisziplinären Team, unter anderem mit der Dawn Chorus Projektleiterin Dr. Lisa Gill, wurde Task 5 – Few-shot Bioacoustic Event Detection (frei übersetzt: Bioakustische Ereignis-Erkennung mit nur wenigen Versuchen) entwickelt und zum Tüfteln freigegeben. Nach Abschluss der Data Challenge wurde ein Ranking der besten Teams und eine Zusammenfassung der ersten Resultate veröffentlicht (zur Veröffentlichung).
Auch 2022 war Dawn Chorus wieder mit dabei (zur Webseite).
BioWaWi: Mit Citizen Science ein Umweltmanagementsystem der Wasserwerke verbessern
Aus der angewandten Wissenschaft kommt das Kooperationsprojekt BioWaWi, zu dem unser Wissenschaftspartner DIALOGIK das Citizen Science Projekt durchführt.
Für Trinkwasserwerke sind die Wassereinzugsgebiete essentielle Bestandteile der Wertschöpfung. Nur funktionierende und sich nachhaltig entwickelnde Ökosysteme garantieren ein möglichst unbelastetes Rohwasser zur Trinkwasserproduktion. Biodiversität und Ökosystemfunktionalität müssen stärker als bisher in ein umfassendes, nachhaltiges und klimaangepasstes Betriebsmanagement integriert werden. Aufgabe des Projektes BioWaWi ist es, die Einflussfaktoren der Wasserwirtschaft auf die Biodiversität zu untersuchen und die Bedingungen herauszuarbeiten, die auf wasserwirtschaftlicher Seite gegeben sein müssen, um den Erhalt der Biodiversität nachhaltig zu sichern. Die Stadtwerke Bühl führen basierend auf den Projektergebnissen ein Umweltmanagementsystem ein, das auch auf andere Wasserversorgungsunternehmen übertragbar sein soll.
In dem Projektteil zu Citizen Science werden Bürgerinnen und Bürger eingeladen, das Biodiversitäts-Monitoring der Wassereinzugsgebiete mitzugestalten. Gemeinsam mit DIALOGIK erarbeiten sie die Vorgehensweise und die Art der Analysen, zu denen sie beitragen möchten. Es ist geplant, dass sie durch leicht zu beschaffende und zugleich wissenschaftlich sehr gut auswertbare Daten (Tonaufnahmen und Fotos) Informationen sammeln können, die Aufschluss über die Biodiversität in Biotopen aus unterschiedlichen Wasserregimen geben.
Die Bürgerwissenschaftler*innen sind eingeladen, mit der Dawn Chorus App Tierstimmen-Aufnahmen zu sammeln, die dann in Zusammenarbeit mit MicroDoc (www.microdoc.com) mit Hilfe von künstlicher Intelligenz mit Landschaftstypologien verknüpft werden sollen. Die sozialwissenschaftliche Begleitforschung erhebt zugleich Daten zu den Chancen und Herausforderungen von Citizen Science Projekten in der Biodiversitätsforschung.
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Warum das Morgenkonzert
Das gemeinsame Morgenkonzert hat sich wahrscheinlich entwickelt, da zu dieser Tageszeit die Luftbewegung besonders gering ist. Die Nacht hat zu einer gleichmäßigen Abkühlung geführt und hat Temperaturunterschiede ausgeglichen. Solange die Sonne noch nicht wieder einzelne Flächen erwärmen kann, gibt es wenig Wind. Unter diesen Bedingungen trägt der Gesang besonders weit. Eine weitere Theorie besagt, dass die Vögel das Zwielicht der Dämmerung nutzen, da sie zu diesem Zeitpunkt für manche Feinde weniger sichtbar sind, während sie sich durch ihren Gesang exponieren.
Akustisches Biomonitoring
Biomonitoring ist zeitlich regelmäßiges Überwachen vom Zustand eines Ökosystems, eines Biotops, einer Lebensgemeinschaft oder von einzelnen Tieren und Pflanzen um die Umweltqualität zu bestimmen. Je regelmäßiger und standardisierter die Daten erhoben werden desto besser ist die Aussage über die gezogenen Schlussfolgerungen. Bei der Beteiligung von Bürgerwissenschaftlern versucht man, neben der trotzdem möglichst einheitlichen Datenaufnahme, gewisse Defizite durch eine große Menge von Datenpunkten zu ersetzen. Der große Vorteil dieser Art der Datenerhebung ist dass das Kollektiv der Beitragenden durch seine Teilnehmerzahl in der Lage ist, kleinere Ungenauigkeiten im einzelnen Datenpunkt auszugleichen.
Akustisches Biomonitoring hat den besonderen Vorteil dass die beigetragenen Aufnahmen, einmal archiviert, späteren Analysen zur Verfügung stehen und Aussagen zum Vorkommen von einzelnen Arten sich auch später noch durch Experten verifizieren lassen. Auch ist der Aufnahme Radius und die somit abgedeckte Fläche ungleich größer als dies mit einem Foto erreicht werden könnte. Im Gegensatz zu einer Kamera deren Bilder sehr von der Kameraqualität, den Lichtverhältnissen und dem Können der Fotografierenden abhängig sind deckt das Mikrofon eine größere, auch von Aufnahmeort nicht einsichtige, Fläche ab und die Aufnahme ist später relativ einfach zu evaluieren.